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Hämophilie (Bluterkrankheit):
Symptome und Behandlung

Bei Hämophilie funktioniert die Blutgerinnung aufgrund eines Gendefekts nicht richtig, sodass sich Blutungen nur schwer stillen lassen. An Hämophilie erkranken meist Männer. Was viele unterschätzen: Auch Frauen mit der entsprechenden Genmutation können an erhöhter Blutungsneigung leiden.

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Hämophilie ist eine meist angeborene und vererbbare Störung der Blutgerinnung: Schon kleine Verletzungen können zu starken Blutungen führen, weil bestimmte Gerinnungsfaktoren im Blut defekt sind oder fehlen. Aus diesem Grund wird Hämophilie auch als Bluterkrankheit bezeichnet. 

Hämophilie gehört zu den seltenen Erkrankungen (Orphan Diseases): In der Schweiz sind rund 750 Patienten im nationalen Hämophilieregister erfasst. Laut Statistik wird eines von 10'000 männlichen Babys mit der Bluterkrankheit geboren. Frauen erkranken meist nicht an Hämophilie, können die Krankheit als Überträgerin (Konduktorin) jedoch vererben. In manchen Fällen entwickeln jedoch auch Frauen Symptome.

Etwa 80 bis 85 Prozent der Betroffenen haben eine Hämophilie A (durch einen Mangel an Gerinnungsfaktor VIII). Die zweithäufigste Form ist Hämophilie B (durch einen Mangel an Gerinnungsfaktor IX). Störungen anderer Gerinnungsfaktoren – etwa Faktor VII – sind dagegen sehr selten.

Zum Krankheitsbild der Hämophilie gehören langanhaltende, starke Blutungen, die selbst bei kleinen Verletzungen auftreten können. Einblutungen ins Gewebe sorgen für Blutergüsse (Hämatome) auf der Haut. Bleibt eine Hämophilie unbehandelt, ist beispielsweise eine Operation teilweise mit lebensbedrohlichen Blutverlusten verbunden. 

In schweren Fällen können Blutungen sogar ohne erkennbare äussere Einflüsse auftreten (Spontanblutung).Gefürchtet sind vor allem Blutungen in Organen wie dem Gehirn, allerdings treten diese eher selten auf. Blutungen in den Muskeln und Gelenken (am häufigsten betroffen sind Knie, Ellbogen, Sprunggelenke) können ebenfalls auftreten und sind häufiger.

Gelenkeinblutungen, die sich durch grosse Schmerzen und rasche Schwellung äussern, richten auf Dauer grossen Schaden an. So kann es zu Gelenkverschleiss (Arthrose) und damit verbundenen Funktionseinbussen bis hin zur körperlichen Behinderung kommen.

Eine funktionierende Blutgerinnung läuft kaskadenartig ab: Ein Gerinnungsfaktor aktiviert den nächsten, sodass die Blutung gestoppt wird. Bei der Hämophilie ist einer dieser Faktoren (meist Faktor VIII) gestört. Die Gerinnungskaskade kann nicht mehr ablaufen. 

In den allermeisten Fällen sorgt ein Gendefekt dafür, dass die Leber den entsprechenden Gerinnungsfaktor nicht oder nicht ausreichend bilden kann. Die Mutationen liegen auf dem X-Chromosom, dem weiblichen Geschlechtschromosom. 

Eines der beiden X-Chromosomen geben Frauen an ihren Nachwuchs weiter. Somit liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent, dass ein männliches Kind (mit dem Chromosomenpaar XY) ein „Bluter“ wird. Wird das defekte X-Chromosom an ein weibliches Kind (mit dem Chromosomenpaar XX) weitergegeben, wird es vom gesunden X-Chromosom „überlagert“. Das Mädchen wird zur Konduktorin (Überträgerin, Anlageträgerin) und kann den Gendefekt ihrerseits an Nachkommen vererben, erkrankt aber selber in der Regel nicht.

Lange war man davon ausgegangen, dass Frauen lediglich Überträgerinnen von Hämophilie sind, selbst aber nicht erkranken. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass auch Konduktorinnen eine erhöhte Blutungsneigung haben können, die sich etwa in einer verstärkten Regelblutung oder erheblichen Blutverlusten bei Geburten und Operationen äussert. 

Schwangere Konduktorinnen können per Pränataldiagnostik ermitteln lassen, ob ihr Kind an Hämophilie leidet. In diesem Fall sollten sich die Frauen an ein Hämophiliezentrum wenden, um die Geburt des Kindes optimal vorzubereiten. Bei unkompliziertem Verlauf der Schwangerschaft kann in der Regel eine Geburt ohne Kaiserschnitt erfolgen.

Die Diagnose einer Hämophilie kann auf zwei Arten erfolgen:

  • Blutuntersuchung: Die Aktivität des Gerinnungsfaktors im Plasma wird gemessen.
  • Genetische Untersuchung: Auf dem Gen wird der Defekt nachgewiesen.

Die Therapie einer Hämophilie gehört in die Hände von Spezialisten. Betroffene lassen sich am besten in einem Hämophiliezentrum behandeln.
Aufgrund der medizinischen Besonderheiten, die die Erkrankung mit sich bringt, sollten Hausarzt und Hämophiliezentrum in engem Austausch stehen. Betroffene können einen Notfallausweis mit relevanten Gesundheitsdaten in ihrem Behandlungszentrum bestellen. Diesen sollten sie dann immer mit sich tragen.

Klassische Therapie

Medizinischer Standard bei Hämophilie ist die Substitutionstherapie: Dem Körper werden die mangelnden Gerinnungsfaktoren als sogenanntes Faktorkonzentrat intravenös zugeführt.

Es gibt zwei Formen:

  • Die Bedarfsbehandlung stillt eine akute Blutung oder dient zur Vorbereitung auf eine Operation. Bei einer milden Hämophilie reicht diese Therapieform oft aus.
  • Die Dauerbehandlung (Prophylaxe) schützt Patienten mit schwerer Hämophilie vor starken (Spontan-) Blutungen und Gelenkschäden. Betroffene müssen das Faktorkonzentrat mehrfach wöchentlich spritzen.

Eine schwerwiegende Komplikation bei der Substitutionstherapie ist die Inhibitorbildung: Das Immunsystem erkennt die zugeführten Gerinnungsfaktoren als Fremdkörper und bildet Hemmkörper (Inhibitoren), um sie zu bekämpfen. Es entsteht die Hemmkörperhämophilie, die eine klassische Therapie erschwert oder sogar wirkungslos macht.

Neue Therapien

Mittlerweile steht Patienten mit schwerer Hämophilie A sowie solchen mit Hemmkörperhämophilie auch eine Antikörpertherapie zur Verfügung. Der Wirkstoff Emicizumab imitiert den Faktor 8 und kann so Blutungen vorbeugen. Um akute Blutungen zu stoppen, ist das Präparat jedoch nicht geeignet. Im Gegensatz zu Faktorkonzentraten muss es nur einmal pro Woche bis einmal pro Monat unter die Haut (statt in die Vene) gespritzt werden. 

Im August 2022 wurde in der EU ausserdem das Gentherapeutikum Roctavian (Wirkstoff: Valoctocogene Roxaparvovec) zur Behandlung einer schweren Hämophilie A zugelassen. Es wird einmalig gespritzt, um das Faktor-VIII-Gen in einige Leberzellen zu schleusen. Der Körper kann den Gerinnungsfaktor dann selbst herstellen.

Bis heute lässt sich die Bluterkrankheit nicht heilen. Doch war Hämophilie bis Mitte des 20. Jahrhunderts noch ein frühes Todesurteil – die durchschnittliche Lebenserwartung betrug weniger als 20 Jahre – leben Betroffene bei optimaler medizinischer Versorgung heute ähnlich lange wie die Normalbevölkerung. 

Kinder mit Hämophilie können Kindertagesstätten und Schulen besuchen wie andere Kinder auch. Durch eine effektive Therapie werden die Einschränkungen im Alltag möglichst geringgehalten. Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko (etwa Eishockey) wie auch körperlich sehr anspruchsvolle oder verletzungsträchtige Berufe (etwa auf dem Bau) sind für „Bluter“ allerdings nicht geeignet.

Trotz wirksamer Therapien kann die Krankheit psychisch belastend sein Betroffene, Konduktorinnen und Angehörige. Der Erfahrungsaustausch unter Betroffenen kann eine wichtige Stütze sein. International wie national gibt es dafür verschiedene Patientenorganisationen. Die Schweizerische Hämophilie-Gesellschaft ist in der Schweiz die Anlaufstelle für Menschen mit Hämophilie und anderen angeborenen Gerinnungsstörungen sowie deren Angehörige.


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  • Schweizerische Hämophilie-Gesellschaft: Hämophilie – Die Bluterkrankheit, unter: www.shg.ch (Abrufdatum: 08.12.2022)
  • Barthels M, Wermes C, Voerkel W. Hämophilie. Deutsche Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten. 1. Auflage 2015
  • Deutsche Hämophiliegesellschaft zur Bekämpfung von Blutungskrankheiten: Therapieprinzipien – Hämophilie, unter: www.dhg.de (Abrufdatum: 08.12.2022)
  • Wirtschaftliche Landesversorgung Fachbereich Heilmittel: Blutgerinnung – Bericht über die Versorgungsrisiken mit Blutgerinnungsfaktoren: Neubeurteilung 2017, unter www.bwl.admin.ch (Abrufdatum: 08.12.2022)
  • Paul-Ehrlich-Institut: Erstes Gentherapeutikum gegen Hämophilie A erhält Zulassung, unter: www.pei.de (Abrufdatum: 08.12.2022)